1. Wer war Jeremy Bentham?

Jeremy Bentham (1748 - 1832)

Der englische Philosoph und Jurist ging mit 13 Jahren an die Universität Oxford und erwarb 1764 den Bachelor of Arts. Er wurde 1772 Advokat, gab diesen Beruf aber bald auf.

Bentham, Sohn eines vermögenden Rechtsanwalts, unternahm Studienreisen, ohne einer festen Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Bentham vertrat in einem England der industriellen Revolution die Auffassung der ,,Radicals". Sie forderten juristische, soziale und wirtschaftliche Reformen.

,,Jeder zählt als einer und keiner als mehr für einen" (Bentham)

2. Die Lehre Benthams

In seinem wirtschaftswissenschaftlichen Essay ,,In defense of Usury (1787)" geht er von der These aus, dass jeder am besten beurteilen kann, was für ihn am nützlichsten ist.

In ,,Principles of Morals and Legislation (jeweils in geringer Auflage 1780 und 1789 veröffentlicht)" begreift er Leid und Freude als Konstanten der menschlichen Natur, die bei der Bestimmung des Glücks eine entscheidende Rolle spielen.

Er formuliert in dieser Arbeit das Prinzip der Nützlichkeit, erörtert das Problem der Beweisbarkeit dieses Prinzips und diskutiert die Prinzipien, die mit dem Utilitarismus konkurrieren.

Bentham verweist auf vier Quellen von Freude und Schmerz und skizziert einen hedonistischen Kalkül (Berechnung) bzw. Nutzenkalkül, der es erlauben soll, alle erdenklichen Empfindungen von Freude und Leide, selbst die heterogener Natur, gegeneinander aufzurechnen und eine Gesamtbilanz des menschlichen Glücks aufzustellen.

Wie Smith sah Bentham keinen Gegensatz zwischen persönlichem und allgemeinem Wohlergehen. Das fundamentale Prinzip ist laut Bentham das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl von Menschen.

Dieses Prinzip verband er mit dem demokratischen Prinzip: Jeder hat für einen, niemand für mehr als einen zu gelten.

Nicht der Rückgriff auf irgendwelche Autoritäten, sondern das menschliche Streben nach Glück bildet die Grundlage menschlicher Sittlichkeit.

Bentham sah in seinem Ansatz eine rationale, praktische Orientierungshilfe in Gestalt des hedonistischen Kalküls. Danach lässt sich die mit dem Handlungserfolg verbundene Lust bemessen nach Stärke und Dauer, im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens und auf die möglichen Nebenfolgen und nicht zuletzt im Hinblick auf die Anzahl der an ihr beteiligten Personen.

Im Sinne des wohlverstandenen Interesses erweist sich der reine Egoismus als falsch berechnet, weil er über den individuellen Augenblick der Lust die lange Dauer des Gesamtnutzens übersieht.

Bentham ist mit seiner Theorie der Nutzenpsychologie für verschiedene Grenznutzentheoretiker (z. B. Menger, Jevons, Gossen) Anknüpfungspunkt geworden.

In der Philosophie wirkte Benthams Utilitarismus insbesondere auf die Philosophie von Mill, Sidgwick und James.

Bentham formuliert das Nutzenprinzip so: Jene Handlung muss als ethisch wertvollste beurteilt werden, die das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl Menschen erzielt.

Der individuelle Gratifikationswert einer Handlungsfolge bemisst sich nach Bentham:

1. an der Intensität des aus der Handlungsfolge zu erwartenden Lustgewinnes,

2. an der Dauer und dem Grad der Wahrscheinlichkeit, mit der der Lustgewinn zu erwarten
    ist

3. an der zeitlichen und räumlichen Nähe des Eintreffens der Folgen,

4. an der Frage, ob mit diesen Handlungsfolgen weitere (sekundäre) positive oder negative
   Folgen verbunden sind.

Bentham war der Ansicht, dass man für jeden einzelnen den individuellen Lustgewinn errechnen und von dem individuellen Gratifikationswert auf den kollektiven Gratifikationswert schließen könne.

Als rational im Sinne des utilitaristischen Prinzips ist die Wahl jener Handlung zu werten, deren kollektiver Gratifikationswert größer ist als der jeder anderen Handlungsalternative.

Durch die Verknüpfung von hedonistischem Prinzip und Universalisierung unterstellt Bentham ein Subjekt, das aus aufgeklärtem Eigeninteresse heraus urteilt und handelt und nicht nur sein individuelles Glück erstrebt.

3. Wer war John Stuart Mill?

Mills Biographie ist besonders im ersten Abschnitt seines Lebens mit seiner intellektuellen Entwicklung verbunden. Diese lässt sich daher in zwei Hälften unterteilen:

1. seine Jugend bis zum Alter von 23 Jahren, in der er unter Einfluss seines Vaters, zu einem der führenden Utilitaristen seiner Zeit aufstieg und

2. seine restlichen 45 Lebensjahre, in denen er diese Gedanken kritisch betrachtete und sie den politischen und sozialen Entwicklung des viktorianischen Zeitalters anzupassen versuchte.

John Stuart Mill wurde am 20. Mai 1806 in London geboren. Er war der erste Sohn eines ehrgeizigen schottischen Einwanderers aus der unteren Mittelschicht, James Mill, der gerade dabei war, sich als Journalist und Historiker einen Namen zu machen. Dieser widmete sich intensiv der Erziehung seines Sohnes - so lernte Mill schon mit drei Jahren griechisch, mit 12 setzte er sich mit Platon, Aristoteles und Hobbes auseinander und im Alter von 13 Jahren erhielt er eine Unterweisung in politischer Ökonomie. Unter dem Fernhalten fremder Einflüsse wurde Mill, so nach eigenen Aussagen, zu einer "Benthamschen Denkmaschine" erzogen, denn sein Vater war ein Verehrer und Freund des Begründers des englischen Utilitarismus, Jeremy Bentham. Er vermittelte seinem Sohn eine Beurteilung von Dingen nach ihrer Nützlichkeit und war nicht imstande, seinen Kindern persönliche Gefühle zu zeigen. Sein Vorsatz, seinen Sohn zu einem vollendeten Utilitaristen zu machen, schien geglückt, als dieser schon mit 17 Jahren die "Utilitarian Society" gründete.

John Stuart Mill unterstützte die Arbeit seines Vaters, trug dazu bei, den "Morning Chronicle" zu einem der wichtigsten Organe der utilitaristischen Radikalen zu machen und schrieb Briefe an liberale Zeitungen. Er schrieb Beiträge für die erst kurz zuvor von Bentham gegründete "Westminster Review", welche Benthams Utilitarismus propagierte.

Erste Anzeichen für eine veränderte Haltung Mills sind nach den Begegnungen mit den Coleridge - Anhängern F.D. Maurice und John Sterling, liberale Radikale, die sich gegen die Benthamschen Theorien wendeten, zu erkennen.

Mills entscheidende geistige Krise hatte jedoch schon 1826 begonnen, als ihm nichts mehr Freude zu machen schien. Er erkannte, dass er, wenn die von ihm und Bentham geforderten sozialen Reformen realisiert wären, immer noch nicht fähig wäre, Freude und Glück zu empfinden. Monatelang dauerte dieser Zustand an, er spürte, dass er nicht mehr Freude bei den dem Gemeinwohl nutzenden und Schmerz bei den dem Gemeinwohl schadenden Dingen zu empfinden vermochte - er realisierte, dass der von Bentham geforderte Prozeß der moralischen Aufrechnung die Tugenden, Wünsche und Freuden des einzelnen zerstöre. Ungefähr sechs Monate hielt dieser Zustand an, bis Mill eines Tages einen sentimentalen Abschnitt aus Marmontels "Memoires" las, der von dem Wunsch eines Jungen berichtete, seiner Familie nach dem Tod seines Vaters beizustehen. Er begann wieder "zu fühlen" und versuchte, die benthamsche Lehre kritisch zu betrachten.

Von nun an entfernte er sich aus dem Kreis der Bentham-Schüler. Nach Mills Ansicht sollte die Gesellschaft danach streben, dass jeder angemessen für seine Leistungen bezahlt und die Wirtschaft im Interesse der Allgemeinheit verwaltet wird, auch wenn er die Möglichkeit einer Realisierung kritisch betrachtete.

In der politischen Praxis blieb Mill ein Radikaler, der Ereignisse wie die französische Revolution 1830 mit Sympathie betrachtete.

Im Jahr 1830 begann die wichtigste Freundschaft in seinem Leben, als er Harriet Taylor, die Frau eines englischen Geschäftsmannes, die er nach dessen Tod heiraten sollte, kennenlernte. Sie hatte nicht nur großen Einfluss auf seine feministischen Ideen, es zeugen auch einige Kapitel der "Principles" und "On Liberty" von ihrem Einfluss.

In den 1830er Jahren begannen sich seine politischen Vorstellungen zu verändern. Er sprach sich für einen "qualified socialism" - einen Sozialismus mit Einschränkungen - aus. Er verwarf sein vorheriges Ideal der "reinen Demokratie", die das schlichte Mehrheitsprinzip favorisierte und ersetzte es durch einen Entwurf, der Pluralstimmrecht und eine Verstärkung des politischen Einflusses gebildeter Minderheiten vorsah. Er begann sich in der praktischen Politik zu engagieren, seine Veröffentlichungen standen häufig in krassem Gegensatz zu denen seines Vaters. Dieser starb 1836, und Mills Ansichten konnten sich erst von diesem Zeitpunkt an wesentlich freier entwickeln.

Den Höhepunkt seiner intellektuellen Reife erreichte er in den Jahren nach 1840, in diesen Jahren erschien "System of Logic"(1843), die "Principles of economy"(1848), "On Liberty"(1859) und "Utilitarianism"(1861). Als Vordenker gelten Toqueville, Pestalozzi, von Humboldt, Goethe und die englischen bzw. amerikanischen Individualisten Maccal und Warren. In seinen letzten Lebensjahren veröffentlichte Mill noch einige kleinere Aufsätze über Religion, Irland, Jamaika, Probleme der Parlamentsreform, eine Schrift gegen Sklaverei in Nordamerika und Untersuchungen über Comte und Hamilton.

Als die East India Company, in der Mill seit seinem 17 Lebensjahr tätig war, 1859 aufgelöst wurde, trat Mill in den Ruhestand. Von 1865 bis 1868 vertrat er den Wahlkreis Westminster im Parlament, wo er sich besonders für das Frauenwahlrecht und die Abschaffung der Todesstrafe, Forderungen, in denen er sich von den meisten Liberalen unterschied, einsetzte. Anders als die meisten seiner Zeitgenossen bekannte er sich zu dem Ideal eines stationären Wirtschaftszustandes, in dem das politische Ziel in der gerechten Verteilung des Vorhandenen bestünde.

Nach seiner Niederlage bei den Wahlen zu einem neu reformierten Parlament hielt Mill sich in Südfrankreich auf, wo er ein Haus in der Nähe des Grabes seiner Frau gekauft hatte, und starb dort 1873.

4. Die Lehre Mills

Bentham hatte mit seiner Idee, die Nützlichkeit einer Handlung zum ethischen Grundbegriff zu machen, das Fundament für den sogenannten Utilitarismus gelegt. Die ihm folgenden Philosophen versuchten Mängel und Schwierigkeiten des Bentham'schen Ansatzes zu beseitigen und den Utilitarismus gegen kritische Einwände zu verteidigen. Die erfolgreichste und wirksamste Arbeit war die Schrift von Mills ,,Utilitarianism". Sie gehörte zu den meistgelesen philosophischen Schriften des 19.Jahrhunderts.

Laut Mill liegt die menschliche Würde in der Betätigung geistiger Fähigkeiten und das müsse bei allen Nützlichkeitsserwägungen berücksichtigt werden. Wo jemand sein Leben als unbefriedigt ansehe, fehle es offenbar an geistiger Bildung.

,,Es ist besser ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr".

Mill glaubte an die grundsätzliche Verbesserung der Welt und damit an die Chance, das jeder ein glückliches Leben führen kann. Jedoch müsse dafür nicht der egoistische, sondern der allgemeine Weg angestrebt werden. Die Welt kann nur besser werden, wenn jeder neben seinem eigenen Wohl auch das der anderen anstrebe. Aber auch vor einer altruistischen Haltung, die alles persönliche Glück dem Heil der Mitmenschen opfert, hält er nichts. Es muss also ein Gleichgewicht entstehen zwischen dem eigenen Glück und dem Glück der Mitmenschen.

Da Mill die Lehre und die Philosophie Bethams teilweise zwar noch vertritt, es sich aber zur Aufgabe gemacht hatte einige Thesen zu verändern, galt er bei Zeitkrititkern als ,,inkonsequent" und ,,schwach".

 

5. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Lehren:

Nach seiner psychischen Krise und nach dem Tod seines Vaters beginnt Mill, sich mit Bentham kritisch auseinander zusetzen. Dennoch bleibt der Utilitarismus eines seiner Hauptanliegen.

Als Kriterium für den moralischen Wert von Handlungen stellte Bentham das "Nützlichkeitsprinzip" auf. Hiernach sollte der moralische Wert von Handlungen danach beurteilt werden, welchen Nutzen diese für das Glück aller Individuen besitzen. Nach diesem Prinzip sollen nur solche Handlungen als moralisch positiv beurteilt werden, die für das kollektive Glück nützlich sind.

Handlungen werden also nicht als solche, sondern hinsichtlich ihrer Folgen beurteilt. Wer handelt und dessen Motivation, die Grundlage für die Handlung, spielt keine Rolle.

Bentham hat eine hedonistische Position die besagt, dass der Begriff des Glückes durch den der Lust definiert werden muss. Für jeden einzelnen sei das eigene Glück, und für die Gesamtheit der Menschen das kollektive Glück, erstrebenswert.

In diesen Punkten stimmt Mill mit Bentham überein:

Mill kritisiert, dass bei Bentham nicht zwischen qualitativem und quantitativem Glück differenziert wird. Eine intellektuelle Tätigkeit hat demnach keinen höheren Stellenwert als eine mit sinnlicher Lust verbundene Tätigkeit.

Mill distanziert sich in diesem Punkt von der benthamschen Theorie und schreibt: ,,Es ist unbestreitbar, dass ein Wesen mit geringerer Fähigkeit zum Genuss die besten Aussichten hat, voll zufriedengestellt zu werden; während ein Wesen von höheren Fähigkeiten stets das Gefühl haben wird, dass alles Glück der Welt, so wie sie beschaffen ist, erwarten kann, unvollkommen ist. [...]"

Während Bentham die Existenz äußerer Sanktionen für utillitaristisch sinnvolles Handeln, wie die gesetzliche Bestrafung oder gesellschaftliche Ächtung, sicherstellen wollte, sieht Mill die Voraussetzung für richtiges Handeln auch in inneren Sanktionen, wie Gewissenhaftigkeit und Pflichtgefühl.

Die fundamentale Sanktion aller Sittlichkeit ist somit (abgesehen von den äußeren Motiven) ein subjektives inneres Gefühl.

Mill besitzt insofern eine teleologische Position, da er das größtmögliche Glück für die Gesamtheit als das Ziel der Menschheit deklariert, ebenso wie das eigene Glück für das Individuum wünschenswert ist.

Dafür, dass das allgemeine Glück wünschenswert ist, lässt sich kein anderer Grund angeben, als dass jeder sein eigenes Glück erstrebt, insoweit er es für erreichbar hält.

Psychologisch fundiert versucht er zu belegen, dass die menschliche Natur so beschaffen ist, dass sie nichts begehrt, was nicht entweder ein Teil des Glücks oder ein Mittel zum Glück ist.[...]

Er unterscheidet zwischen Handlungszielen, die zum Mittel zum Erlangen von Glück angestrebt werden (z.B.Geld) und denen, die Bestandteil des Glückes sind (z.B.) Tugend. Diese werden um ihrer selbst willen erstrebt, weil sie Lust hervorrufen und somit Glück bewirken.

Hieraus ergibt sich: dass in Wirklichkeit nichts anderes begehrt wird als Glück. Alles was nicht als Mittel zum Glück begehrt wird, ist selbst ein Teil des Glücks und wird erst dann um seiner selbst willen begehrt, wenn es dazu geworden ist.

Den Utilitaristen zufolge ist also in allen menschlichen Handlungen eine dem Glücksbegriff entweder zu- oder abträgliche Haltung vorhanden Mill und Bentham unterscheidet vor allem eine unterschiedliche Auffassung bezüglich des Individuums. Isiah Berlin schreibt hierzu: "For Bentham individualism is a psychological datum: for Mill it is an ideal."

In seiner Krise erkannte Mill, dass der Utilitarismus vom einzelnen fordert, von der eigenen Identität zu abstrahieren und seine Handlungen danach nach der Nützlichkeit für das kollektive Glück auszurichten. Der Mensch wird von seinen eigenen Handlungen entfremdet. Der Utilitarismus Benthams verlangt von jedem, gegebenenfalls seine eigenen Pläne und Handlungen, die aus seiner Einstellung herrühren, aufzugeben, um nach utilitaristischen Bestrebungen zu handeln. Die eigenen Bedürfnisse entsprechen jedoch nicht immer denen der Gesellschaft.

Die Verbindung von Individualität und kollektivem Glück ist eines Mills Hauptanliegen in "On Liberty"(vgl. III.1)

Der grundsätzliche Unterschied zwischen Bentham und Mill ist die verschiedene Auffassung von den Begriffen Lust und Glück.

Während für Bentham die größtmögliche Lust für die größtmögliche Anzahl von Menschen am wichtigsten ist, stellt sich Mill gegen die Aufgabe der individuellen Wünsche und Ziele.

Mill zählt nicht nur die Menge der Genüsse, die für Bentham das größtmögliche Glück symbolisieren, sondern auch deren Qualität.

Autor: Maja Brandl